Lulekani

Südafrika, 1999

Kalkutta

Indien, 2005

Rarotonga

Cook-Inseln, 2002

Über das Projekt

Unter dem Arbeitstitel „Geben und Nehmen“ habe ich 1999 in Südafrika begonnen, Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld zu portraitieren. Der Gedanke hierzu entwickelte sich bei einem früheren Besuch in der Region. Ich war seinerzeit mit einer Kleinbildkamera und einer SX70-Polaroid unterwegs und bedauerte es jedes Mal, dass ich den Menschen, die ich fotografiert habe, nicht ihr Bild geben konnte.

 Adressen habe ich mir zwar notiert und später Bilder geschickt oder auch bei meinem nächsten Trip mitgebracht, doch es fehlte der direkte Bezug, es fehlte der legitime Abschluss, das persönliche i-Tüpfelchen meiner fotografischen Aktionen. Ich sah in den Augen der Menschen die stille Bitte, ihr Bild sofort sehen zu wollen.

 So habe ich vereinzelt SX 70-Polaroid-Fotos geschossen und verschenkt. Die Freude darüber war sehr groß. Doch existierte dann nur dieses eine Exemplar. Auf der Suche nach einer Möglichkeit den Portraitierten direkt nach der Aufnahme ihr Bild zu schenken und ein zweites für mich behalten zu können, stieß ich auf Typ55 P/N von Polaroid, den ich noch aus meiner Zeit im Fotostudio kannte. Eigentlich zum Testen der Schärfe entwickelt, liefert er mit einer Aufnahme ein Positiv und Negativ im Format 4x5“ (ca. 9x12cm).

In der Linhof Technika fand ich für meine Idee die geeignete Kamera. Sie vereint das Großbildformat mit der Technik einer Sucherkamera. So kann ich spontan – ohne unter einem schwarzen Tuch verschwinden zu müssen – aus der Hand fotografieren. Mit gekoppelten Objektiven und einer ausgeklügelten Mechanik verfügt sie über einen Schnittbildindikator für die Schärfe und der externe Sucher zeigt den jeweiligen Bildausschnitt mit Parallaxenausgleich für das verwendete Objektiv. Die außerordentlich kompakt konzipierte Kamera, die zudem über Shift- und Schwenkmechanismen verfügt, ermöglicht Großbildfotografie ohne Stativ und Mattscheibenkontrolle. Ein ausgereiftes Werkzeug, Klassiker und Prunkstück der Feinmechanik aus Deutschland.


Wenn ich losziehe, um „Polas“ zu machen, habe ich die Linhof meist in der Hand, den Rucksack mit Wechselobjektiven und Fotomaterial auf dem Rücken und eine Tasche mit einem Wasserbehälter über der Schulter. Derart bepackt mache ich mich fast immer zu Fuß auf die Suche nach Motiven. Meist abseits der Hauptstrassen und Touristenströme. Ich suche Menschen in ihrem Lebensraum, an ihrer Wohnstätte oder bei der Arbeit – den Alltag in einem mir fremden Land. Mich interessiert, wie Menschen in anderen Teilen der Welt leben und arbeiten. 


Wenn ein weißer Zweimetermann neugierig mit einer großen Kamera durch ein südafrikanisches Township schlendert, bleibt das nicht unbeachtet. Die Leute halten in dem was sie gerade tun, inne und werfen unverhohlen fragende Blicke in meine Richtung, die ich freundlich mit einem Lächeln erwidere. Ein Gefühl verrät mir, wann ich fragen kann, ob ich ein Foto machen darf. Meistens wird das bejaht und die unsichtbare Spannung löst sich in erwartungsvoller Neugier.

Ein paar Handgriffe und ich bin zum Fotografieren bereit. Es bleibt meinen Gegenüber überlassen, wie er oder sie sich darstellen möchten, das heißt, sie geben ihr eigenes Motiv vor. Da geht dann die Bandbreite vom Einzelportrait, über die ausstaffierte und hindrapierte Familie bis hin zum Arrangement des kompletten Hausrates. Da werden je nachdem auch die Großeltern oder Enkel, die Nachbarn oder Freunde noch schnell herbeigeholt.


In nur wenigen Fällen ergibt sich eine 1: 1 Situation. Meist finden sich mehrere Leute ein, um zuzuschauen. Die erste Aufnahme ist gemacht. Ich ziehe das „Pola“ aus der Kassette. In den 30 Sekunden, die das Bild jetzt braucht bis es entwickelt ist, steigt im Rund spürbar die Spannung. Noch ein kurzer Kontrollblick und ich überreiche den Fotografierten ihr Bild. Nun wird der Kreis um diese enger. Alle wollen sie einen Blick erhaschen. Derweil habe ich Zeit, das Negativ im Wasserbehälter zu sichern.


Die meisten betrachten verzückt und stolz ihr Portrait. Um sie herum wird palavert, gescherzt, gelacht und manchmal sogar getanzt. Die Stimmung wird zunehmend entspannter und fröhlicher und natürlich wollen die anderen jetzt auch vor der Kamera posieren. Also werden weitere Bilder geschossen. Es ist jedes Mal ein kleiner, aber glücklicher Moment, die Freude in den Augen der Menschen zu sehen, wenn sie das fertige Bild in Händen halten und wissen, das es ihnen gehört. Oft, vor allem in Afrika, ist dieses „Pola-Bild“ das erste und einzige Bild, das von einem Portraitierten existiert.

Ein fertiges Bild direkt nach der Aufnahme verschenken zu können, ist für mich eine wunderbare und befriedigende Art zu arbeiten und motiviert ungemein. Darüber hinaus ist es eine mehr als faire Geste. Zudem ermöglicht der verschenkte Abzug über die Sprache hinaus eine leichtere Kontaktaufnahme und einen persönlichen Zugang zu den Menschen, was sich bei einer „normalen“ Fotografie so nicht einstellt.


Ich selbst behalte das Negativ mit einem brillanten Kontrastumfang und einer einzigartigen Schärfe, das daneben noch eine ganz besondere Ästhetik aufweist. Als „Bonus“ liefert Typ 55 P/N einen faszinierenden Negativrand, der daher stammt, dass das lichtempfindliche Material in einer Papiertasche steckt, in der sich beim Herausziehen aus der Kassette die Entwicklungspaste verteilt. Die Tasche dient gleichzeitig als Schieber, während das Negativ in der Kassette frei liegt und mit einer Metalllasche gehalten wird.


Das rein analoge Arbeiten mit der Linhof Technika ist wie ein Ausflug in die Anfänge der Reisefotografie. Monochrome Filme und große Aufnahmeformate waren die Werkzeuge, mit denen die ersten Fotodokumentationen aus fernen Ländern gemacht wurden. Obwohl die Bilder ähnlich anmuten, die Bildinhalte haben sich in den letzten 100 Jahren doch deutlich verändert. Auf dem Familienfoto aus Afrika fehlt oft der Vater, der indische Rikschafahrer wird zunehmend von stinkenden Taxis verdrängt und die Insulaner haben das Handy am Ohr. Es geht mir aber nicht darum, politische und wirtschaftliche Zustände zu dokumentieren oder Missstände von Armut und Verelendung aufzuzeigen. Es geht mir um Augenblicke im Leben, um „Dinge“, die einzelnen Menschen wichtig sind. „Dinge“, die die Menschen glücklich, fröhlich und stolz macht oder nachdenklich und traurig.

Der Arbeitstitel „Geben und Nehmen“ entstand unter anderem aus der Tatsache heraus, dass das Material mit Positiv und Negativ zwei Komponenten bietet, die ich aufteile. Das Positivbild ist Gastgeschenk und Mitbringsel in einem. Ein Dankeschön für die Einblicke in fremde Kulturen, die mir gewährt werden und das Negativbild ist eine bleibende Erinnerung für mich. Als Fotograf (und Europäer) habe ich die Möglichkeit mir ein Bild von der Welt zu machen und die Technik(a) ermöglicht mir, es fest zu halten und weiter zu geben. 


Diese Kombination ist es, die mir so viel Spaß und Freude bereitet.